Morgenspaziergang an der Ostsee
Ein früher Spaziergang in Warnemünde wird zur stillen Entdeckungsreise – mit Kamera, Möwe und Meer als Kulisse für fotografische Experimente und neue Perspektiven.

Früh am Morgen, wenn die Straßen noch weitgehend leer sind, liegt eine verheißungsvolle Stille über der Stadt. An diesem Tag zog es mich früh hinaus nach Warnemünde. Es ist ein außergewöhnliches Privileg, einfach in die S-Bahn steigen und ans Meer fahren zu können. Weil mir diese Möglichkeit jederzeit offensteht, nutze ich sie paradoxerweise viel zu selten – vermutlich, weil sie mir ohnehin nicht entgleitet. Also schnappte ich mir meine Kamera und machte mich auf den Weg.





In den frühen Morgenstunden ist man am Strom weitgehend allein unterwegs.
Mein Weg führte mich entlang des Warnemünder Stroms, der tagsüber von Touristen belebt ist. Doch an diesem Morgen war es anders: Nur die Fischbrötchenverkäufer bereiteten sich geschäftig auf den Ansturm vor – sonst war niemand zu sehen. Stille lag in der Luft, nur das Kreischen einzelner Möwen hallte über das Wasser hinweg. So bahnte ich mir den Weg in Richtung Leuchtfeuer – eines der Wahrzeichen Warnemündes und ein beliebtes Postkartenmotiv, das sicher schon in manchem Briefkasten gelandet ist. Ein trotziges Symbol, das Wind und Wetter seit Jahrzehnten standhält, präsentierte sich heute ruhig und gelassen seinem Besucher.


»Gatsby glaubte an das grüne Licht, die wundervolle Zukunft, die Jahr für Jahr vor uns zurückweicht. Damals entwischte sie uns, aber was macht das schon – morgen laufen wir schneller, strecken die Arme weiter aus … Und eines schönen Tags … / So kämpfen wir weiter, wie Boote gegen den Strom, und unablässig treibt es uns zurück in die Vergangenheit.«
F. Scott Fitzgerald: Der große Gatsby




Auf dem Rückweg von der Mole zog es mich zum Strand. Dabei gelang mir ein Schnappschuss, den man kaum planen kann – eine unerwartete Begegnung mit einer Möwe, die auf der Mauerkante des Weges stand und die ersten Sonnenstrahlen genoss. Sie verharrte reglos – ich stellte rasch die Kamera ein: automatische Belichtung, Blende auf die größtmögliche Öffnung, ISO auf 500. Letzteres war nötig, da der Polfilter das Licht etwas dämpfte. Während ich das Motiv fokussierte, näherte ich mich vorsichtig. Mit einem 23-mm-Festbrennweitenobjektiv lässt sich schließlich nicht zoomen – ich musste mich Stück für Stück herantasten. Doch die Möwe blieb – und gewährte mir die Aufnahme.

Nach diesem geglückten Moment setzte ich meinen Weg zum Strand fort und fertigte dort weitere Aufnahmen an. Es war nicht nur ein produktiver Spaziergang, sondern auch eine wertvolle Gelegenheit, mich der ungezwungenen Fotografie weiter anzunähern, Neues auszuprobieren und Perspektiven zu gewinnen – ohne meinen eigenen Stil dabei zu verleugnen.








