Reisen
Reisen ist für mich eine Flucht aus dem Alltag – minimalistisch gepackt, mit Musik in den Ohren und Blick aus dem Zugfenster. Jeder Ort hinterlässt Spuren, jedes Essen erzählt eine Geschichte. Am Ende bleibt die Wehmut, dass nicht alles zu sehen ist. Doch das nächste Abenteuer wartet schon.

Auf Reisen zu gehen, ist für mich der Moment, in dem man den Wirrungen des Alltags entfliehen und neue Orte sowie neue Menschen entdecken kann. Mich treibt es oft hinaus. Doch anders als die meisten zieht es mich nicht in die Ferne, sondern innerhalb unserer Landesgrenzen hält es mich fest: Ich bin davon überzeugt, dass es in diesem Land vieles zu entdecken gibt.
Es beginnt meist am Morgen, wenn ich hektisch meine Sachen zusammenräume und packe – eine Eigenart, die mich bislang nicht gelehrt hat, das Gegenteil zu tun. Manche packen bereits am Vortag sorgfältig, ich jedoch nicht. In der Eile denkt man genauer darüber nach, was wirklich nötig ist, und so reduziere ich mein Gepäck auf ein absolutes Minimum. Ersatzkleidung nehme ich keine mit – sollte etwas dreckig werden, kann ich etwas anderes eben zwei Tage tragen. Hier gilt es, Kompromisse zu machen; mir ist es einfach zuwider, zu viel mit mir umherzuschleppen. Ich möchte möglichst viel zurücklassen – auch meine Ängste und Sorgen. In diesen kommenden Tagen kann ich ihnen entfliehen. Warum sollte ich ihnen also jedwede Aufmerksamkeit schenken? Nein, das ist nicht der Sinn der Sache.
Also geht es los zum Rostocker Hauptbahnhof, meinem persönlichen Tor zur Welt. Freilich, das Bahnfahren wird von vielen gehasst und kritisiert, aber ich habe gelernt, mit den typischen Unwägbarkeiten zu leben, mich zu arrangieren und das Beste aus der Situation zu machen. Das beginnt schon bei der Buchung des Tickets: Je weniger man umsteigen muss, desto stressfreier verläuft die Fahrt. Unlängst habe ich es aufgegeben, allerlei Bücher, Magazine und Konsolen mitzuschleppen. Einzig ein Ladekabel ist mein treuer Begleiter. Musik auf die Ohren, ein nachdenklicher Blick aus dem Fenster und möglichst unauffällig die Leute im Abteil beobachten – jedes Gesicht erzählt eine eigene Geschichte, und meine Gedanken ergießen sich in Vermutungen. Ausreichend zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen dürfen natürlich auch nicht fehlen. Aus den gewaltigen, überdimensionierten Lunchpaketen früherer Tage sind mittlerweile eine stabile Stulle und als süßer Snack eine Banane geworden. Auch hier reduziere ich alles auf das absolut Notwendige. Ja, ich komme lieber etwas hungriger am Zielort an, um dort meinen Appetit zu stillen.
Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Und einen unbekannten Ort in sein Herz zu schließen, beginnt damit, die lokalen Köstlichkeiten zu probieren. Einst saßen wir in Prag in der U-Bahn. Jemand zählte im Kopf Zahlen ab, ein anderer sagte „Stopp“ – so bestimmte sich die Anzahl der Stationen, die wir noch fahren würden. Dann stiegen wir aus und betraten die erstbeste Lokalität, die wir fanden. Hier war es ein chinesisches Restaurant, versteckt in einer Seitenstraße, abseits des Trubels. Es war meine erste Begegnung mit der chinesischen Küche, und ich war schlicht überwältigt – auch wenn es nur simple gebratene Nudeln mit Hühnchen waren.





Jede Reise ist eine Auseinandersetzung mit mir selbst. Es hat etwas Meditatives, durch Straßen und Landschaften zu spazieren und in Gedanken vieles zu durchdenken. Nach jedem Spaziergang fühle ich mich von einer Last befreit, meine Fantasie ist angereichert mit neuen Impressionen. Wenn das nicht innere Freiheit ist, was dann? Was mich einzig betrübt, ist die Tatsache, dass es schier unmöglich ist, alles zu sehen. Also nehme ich mit, was ich kann. Stuttgart, Heidelberg, Köln, Hannover, der Ruhrpott.
In der Ferne deutet sich jedoch ein Gewitter an – ein Unwetter metaphorischer Natur, dessen fernes Grollen ankündigt, dass auch diese Reise einst ihr Ende finden wird und der Alltag sich seinen Weg zurück ins Bewusstsein frisst. Aber wie sagt man so schön? Nach jedem Gewitter folgt frische, gereinigte Luft. Und so kehre ich heim – mit einer gewissen Wehmut, aber doch entlasteter Seele. Wohl wissend, dass das nächste Abenteuer schon bald anbricht.